Montag, 21. März 2011
Trisexualität
Johanna trägt ein knallrotes Shirt mit weißer Aufschrift - "Open your mind".
Passt zu ihrem rabenschwarzen Haar und den dunklen Augen. Spannender Kontrast.
Sie setzt das Glas an und schüttet sich den Drink in die Kehle. Ein Gemisch aus Cola und Jim Beam. Keine Ahnung, wie viele von den Dingern schon den Weg in ihre Figur gefunden haben, aber mir wären inzwischen sämtliche Dichtungen abgesprungen.
Johanna grinst nur und schüttelt sich kurz.
"Bist ja ein brauchbares Stück Kerl. Meinst Du, es könnte passen?"
Ich zucke mit den Schultern und versuche ihrem unruhigen Blick zu folgen. Irgendwie gehetzt. Wandert ständig zwischen Theke und Kellner hin und her.

"Na ja, immerhin schreiben wir uns schon eine ganze Weile und dann die unzähligen Telefonate. Hatte den Eindruck, dass wir gegenseitige Zeitverwertungsrechte erheben könnten."
Ihre Augen verlieren an Fahrt und bleiben an meinen haften.
"Aber die entscheidenden Fragen haben wir noch nicht geklärt", entgegnet sie und setzt eine Miene auf, die Vertragsverhandlungen anzukündigen scheinen.
"Welche Fragen wären das?"
"Sex und so."
"Was ist damit?
Johanna beugt sich herüber und ihre Stimme senkt sich verschwörerisch.
"Wie ist denn Deine Ausrichtung?"
Ich vermute, dass die Frage nicht auf meine politische Gesinnung abzielt.
"Hetero...oder was meinst Du?"
Johanna lässt verächtlich Luft durch aufgeblasene Backen entweichen.
"Puh...wie öde. Wahrscheinlich kaufst Du sonntags auch noch Brötchen zum Frühstück..."
"Äh...ich mag frische Brötchen..."
Ihr Blick hat zerstörenden Charakter.
"Bin trisexuell."
"Hä?"
"Maaan", entfährt es ihr, "t-r-i-s-e-x-u-e-l-l."

Mir scheint, als würde die Achse der Unwissenheit mitten durch unseren Tisch verlaufen.
"Wie meinst Du das?"
"Könnte glatt meinen, Du bist geistig ein wenig minderbelüftet", spottet Johanna.
Offensichtlich hat sie meinen hilflosen Gesichtsausdruck bemerkt.
"Soll heißen, Männer, Frauen und mich. Trisexuell eben."
"Aha...da wird es aber eng im Schlafzimmer...."

Johanna schiebt den Stuhl zurück.
"Das wird dann wohl nichts mit uns", sagt sie und steht auf.
Eine kurze Verabschiedung, dann bewegt sich ihre Silhouette zum Ausgang.
Ich mag mich täuschen, aber mir scheint, als hätte sie dabei die Hand in ihrem Schritt.
Egal.
Am Sonntag gibt es Brötchen.
Frisch aus der Maschine. Warm und verboten lecker duftend.

© by P.H.



Schläfst du schon, oder schraubst du noch?
Gar nicht lange her, da ist mir eine dumme Sache widerfahren.
Fing damit an, dass mir der Sinn nach einem neuen Bett stand. Groß und bequem
sollte es sein. Nicht mehr dieses Lattengestell aus Zeiten, als wir noch Schlaghosen trugen.

Erste Anlaufstelle ist stets dieses schwedische Möbelhaus. Eines immer in deiner Nähe. Hier war es das in der Rudi Völler-Stadt.
Jedenfalls hatten die da ein gefälliges Modell im King Size-Format. Keine Ahnung, wie das Ding hieß. Wasa Mjölk-Bett oder so.

Also machte ich mich auf den Weg und schoss die Beute in dem Laden.
Übliches Spiel: Wuchtest das Biest auf den Hackenporsche und tingelst zum Wagen.
Anschließend stehst du zusammen mit anderen Möbel-Waidmännern im Parkhaus und
versuchst fluchend das sperrige Unding in den Ladeschlund deiner Benzinkutsche zu drücken.

Ging natürlich nicht. Manche Männer kennen das Problem, wenn die entscheidenden Zentimeter wieder fehlen.
Ok, klingt jetzt irgendwie zweideutig, meine aber selbstverständlich die Kofferraumluke.
Wie auch immer - unter Abwurf der Umverpackung konnte ich die erlegten
Innereien erfolgreich verstauen und den Weg zur heimischen Höhle antreten.
Dort angekommen, ging es sogleich an die Errichtung der neuen Schlafstätte.
Schien mir keine sonderliche Herausforderung an einen talentierten Heimwerker. Also mich.
Nach eingehendem Studium der Anleitung stand dem Aufbau nichts mehr im Wege und so begann das Produkt alsbald Formen anzunehmen.

Unzählige Flüche später war das Werk vollendet und erstrahlte in voller Pracht. Eigentlich ein herzerwärmender Moment. Eigentlich. Wäre das Ergebnis nach meinen Vorstellungen gewesen.
War es aber nicht, weil zum Liegen völlig ungeeignet. Also, der Schuhschrank.
Nicht, dass ich etwas gegen Schuhschränke hätte, pflege ein harmonisches Verhältnis zu diesen, aber irgendwie hätte das Ergebnis ein anderes sein sollen.

„Kein Grund zur Verzweiflung“, sagte ich mir, „die Jungs von der Inbusfront werden das wieder gerade bügeln.“
Stieg also in meinen fahrenden Wertstoffhof und suchte erneut die skandinavische Holzwurmbehausung auf.

An der Reklamationssammelstelle ein strohblonder Jungspund mit Harry Potter-Brille hinter der Theke. Ziemlich aufgeweckt und engagiert. Hörte sich mein Anliegen aufmerksam an.
„Nicht ihr Ernst??“
Leider völlig ohne diesen lustigen Schwedenakzent und schaute mich dabei an, als hätte ich ihm gerade berichtet, der erste gebärende Mann zu sein.
„Doch. Falscher Leitfaden. Klare Sache.“
Zur Beweisuntermauerung wurden einige Aufnahmen von mir präsentiert, die ich zuvor vorsichtshalber mit dem Handy geschossen hatte.
„Ja, aber wie konnten sie das dann mit dem Material..?“
„Vorstellungskraft und Kreativität.“
Kopfschüttelnd verschwand er hinter der Theke und tauchte einige Minuten später mit einer Aufbauanleitung an, die er mir übergab. Immer noch kopfschüttelnd. Dabei murmelte er etwas von einem hauseigenen Kuriositätenmuseum.
Ich bedankte mich höflich und trat die Rückreise an.

Zu Hause angekommen, ging es frisch ans Werk. Zunächst die Demontage, dann erneuter Aufbau.
Wiederum unter Einsatz handelsüblicher Flüche und oraler Zufuhr von kühlem Hopfenblütentee.
Am Ende stand das Bett. Wirklich.
Ein doppelstöckiges. Wie diese in den Jugendherbergen.
Ganz und gar nicht nach meinen Vorstellungen.
Schlafzimmer mit Kasernencharakter will doch kein Mensch.

Naja, die Sache hatte dann doch noch ein zufriedenstellendes Ende.
Auf meinen Reisen durch das Netz der unbegrenzten Möglichkeiten fand ich eine Seite mit Menschen in ähnlichen Notlagen. Allesamt Opfer fehlerhafter Aufbauanleitungen. Von der Gesellschaft geächtet und belächelt. In ihrer Verzweiflung haben diese eine Tauschbörse eingerichtet. Dort wurde ich fündig. Bei einer freundlichen Dame, die einen Garderobenständer erworben hatte und nach der Montage ein King Size-Bett vorfand. Taugt zwar als Kleiderablage, macht den Flur aber unbegehbar. Sie zeigte sich erfreut über das Tauschangebot, konnte sie doch deutlichen Raumgewinn verbuchen.

Wie auch immer – Anleitungen traue ich nicht mehr über den Weg.
Echt jetzt.

© by P.H.



Denkarium
Es gibt Dinge, die haben eine eigene Play-Taste. Wenn die dir dann vor die Füße fallen, startet automatisiert eine Art Erinnerungstrack.
Mein blauer Wollpullover ist so ein Ding. Der mit dem großen, gelben Woodstock auf der Brust.
Nicht, dass ich ihn noch oft tragen würde. Tatsächlich eher gar nicht mehr, aber das ist auch egal.
Eine Freundin strickte mir diesen.
Manchmal gerät er mir zwischen die Finger, dann streiche ich darüber und muss lächeln. Bilder beginnen zu tanzen. Bilder aus luftigen Zeiten, die wie aus einem anderen Leben erscheinen.
Laute, beathaltige Musik zu Rauchwaren, die ein süßliches Aroma in der Luft hinterließen und blitzende Augenpaare mit verlangendem Ausdruck.

Dann höre ich hin und wieder alte Songs im Radio. Uriah Heep, Bee Gees oder so.
Kann schon sein, dass mir in diesem Moment ein großes Partyzelt vor dem geistigen Auge erscheint. Das Mädchen in den Armen, welches ich damals für die wunderbarste Schöpfung auf Erden hielt.
Wir tanzten, besser stolperten, gemeinsam. Jedenfalls ziemlich eng umschlungen. Beide von dem Moment berauscht.
Ihren Namen weiß ich sogar heute noch. Nicht aber, wohin es sie getragen haben mag.

Dann sehe ich manchmal einen alten Wagen über die Straße rollen. Opel Kadett C. Meiner war Baujahr 76. Autobahnschildblau, so die Farbdiagnose eines Freundes.
Immerhin 160km/h schaffte er mit ordentlichem Anlauf .Auch auf der Fahrt nach München und das, obwohl er voll besetzt war.
Vier Kerle zu einem Kurztrip in die Landeshauptstadt. Reichlich Alkohol und lockere Sprüche auf der Agenda.
Fragt mich heute nicht mehr nach Details. Darüber liegt ein promilleschwerer Nebel des Verblassens.
Den ein oder anderen treffe ich heute noch. Dann erinnern wir uns lachend und es ist, als sei es gestern gewesen.

Professor Dumbledore, der aus den Harry Potter-Romanen, besitzt ein "Denkarium". Eine Steinschale, in der Erfahrungen ablegt werden. Dabei zieht er diese wie Silberfäden aus seiner Schläfe. Ein probates Mittel gegen den immer voller werdenden Kopf. Macht das Oberstübchen frei und lässt klarer blicken, so seine Meinung.
Wäre nicht nach meinem Geschmack. Kaum eine Erinnerung, die ich hergeben wollte und irgendwie gehören die zu mir. Lassen mich Dinge auf meine Weise betrachten.
Vielleicht so wie ein Kaffeefilter, den ich mit meinem Erlebten fülle und Eindrücke darüber laufen lasse.
Das, was sich dann im Behälter sammelt, ist mein persönliches Destillat. Ich mag es heller und gebe Milch hinzu. Manchmal sogar Zucker - wenn mir gerade nach süß ist.
Es schmeckt und belebt mich.
Tag für Tag.

© by P.H.