Von den Socken
Bisher blieb mir für Betroffene nicht mehr als ein müdes Lächeln, jetzt lässt es sich nicht mehr leugnen – ich bin Opfer. Opfer der WSE. Mitleidende werden wissen, wovon ich rede: Der waschmaschinenbedingten Sockenelimination.

Mit erschreckender Klarheit wird mir dieses bewusst, als ich gerade eben unbestrumpft in dem Schuhmarkt meines Vertrauens gastiere.
„Die hier - 100% Baumwolle, schwarz und mit verstärkten Nähten.“
Sie schwenkt einen Packen Fußhüllen vor meinen Augen und kaut dabei Kaugummi, als wollte sie diesen in seine atomaren Bestandteile zerlegen.

Schuhverkäuferinnen sind eine besondere Spezies, denke ich noch und blicke amüsiert in ihre großen Kulleraugen, die aufmerksam meine Reaktion verfolgen als würden sie ein großes Geschäft wittern. Kaum zu erwarten bei dieser Fernostware.

„Bummerangsocken würde ich benötigen, aber die sind auch ok.“
„Hääh?“
Ihre Augen haben inzwischen annähernd Kaffeepadgröße erreicht und das Mahlen des Kiefers wirkt irgendwie hektisch.
„Was soll denn das sein?“
„Na ja, Socken, die immer wieder zu ihrem Besitzer zurückkehren“, meine ich mit todernster Miene.
Sie lächelt gekünstelt und ihr Blick scheint mich der Hirndielenfraktion zuzuordnen.
„Dann nehme ich diese. Geben sie mir zwei von dem Fünfer-Pack.“

Kullerauge fischt die Ware aus dem Regal und bewegt sich mit einladendem Hüftschwung zur Kasse, wo sie mich gekonnt um den geforderten Bargeldbetrag erleichtert.

Erfreut wende ich mich dem Ausgang zu – ganz in luftiger Erwartung, das Ende der barfüßigen Zeit einzuläuten.

Zu Hause ist es ruhig. Die Schublade, in der sich einst eine bunte Sockenschar tummelte, blickt mich aus leerer Untiefe traurig an. Tröstend streiche ich über das Holz und spende dem Fach aufmunternde Worte, die von einer Neubesiedelung künden.

Ungepflegt soll die Wohnstätte allerdings nicht bezogen werden – Zeit für ein Vollbad in der Waschmaschine.
Widerstandslos lässt sich die Fremdkörperfalle mit einigen gebrauchten sowie den fabrikneuen Textilien füttern und nimmt, nach Zusatz von Reinigungsbeschleunigern, willig ihren Dienst auf.

Während die Kleiderschleuder rotierend ihrer Bestimmung folgt, gönne ich mir eine Auszeit und zappe mich durch Entertainmentkloake des Kanalreiters. Irgendwelche Teenies dissen andere Teenies, Paare bewerfen sich mit Omas Porzellan und Experten diskutieren über die gesundheitlichen Folgen von Erdstrahlen. Keine Überraschung bei der Bilderfürsorge.

Irgendwann bebt der Boden. Tektonische Plattenbewegungen als Ursache schließe ich spontan aus und warte daher gelassen das Ende des Schleuderganges der Waschmaschine ab.
Wenige Minuten und eine abstruse Gerichtsverhandlung später kehrt Stille ein und ich mache mich auf den Weg, um die gesäuberten Textilien der Trommel zu entnehmen.

Hosen, Shirts und Unterwäsche gleiten durch meine Hände. Etwas fehlt. Frustriert halte ich inne - von den Socken keine Spur. Verzweifelt und kopfwärts in der Maschine wird die Trommel einer Inspektion unterzogen. Kühl, beinahe hämisch glänzt mich das Metall an. Kalte Leere. Nichts. Die neuen Fußgewänder bleiben verschollen.

Resigniert sammele ich die feuchten Textilien ein und klemme sie an die Leine. Mein Leben erscheint mit einem Mal leer und strumpflos. Sockenkrise pur.

Es ist spät am Abend, als ich ermattet das Bett aufsuche, um mich in den Schlaf zu weinen. Kaum hat jedoch mein Kopf Kissenkontakt aufgenommen, fallen die Augen zu und tiefer Schlaf ergreift von mir Besitz.
In dem Traum bin ich ein Fuß und betrete das verborgene Reich waschmaschineneliminierter Socken. Es ist eine fröhliche und bunte Welt. Weiße Tennissocken mit blauen Streifen in friedlicher Koexistenz neben Kniestrümpfen. Snoopy-Söckchen und Micky Maus-Strümpfe harmonisch vereint. Alle toben, lachen und schmeicheln meinen Zehen.

Ein blauer Wollsneaker ist es schließlich, der mir dann von Portalen erzählt, die manche Waschmaschinen öffnen und Socken den Übergang in diese Welt ermöglichen. Irgendwie berührt es mich und lässt meinen Kummer verfliegen.

Als ich wieder wach werde, lacht die Sonne vom Himmel und lässt mich einen Entschluss fassen: Meine Klamottenschleuder wird nun zum Tor in die Sockendimension.
Von diesem Tage an ermögliche ich Fußtextilien regelmäßig den Übergang in eine andere Sphäre. Eine Aufgabe, die mich mit beglückender Zufriedenheit erfüllt.

Kullerauge hat sich inzwischen an meine wöchentlichen Besuche gewöhnt und hält stets unterschiedliche Modelle für mich griffbereit. Irgendwann werde ich sie zum Essen einladen und ihr von anderen Welten erzählen. Vielleicht wird sie es verstehen und möglicherweise sogar hin und wieder für mich waschen.
Also nur Socken. Ist bitterkalt - so ganz ohne im Winter.

© by P.H.