Denkarium
Es gibt Dinge, die haben eine eigene Play-Taste. Wenn die dir dann vor die Füße fallen, startet automatisiert eine Art Erinnerungstrack.
Mein blauer Wollpullover ist so ein Ding. Der mit dem großen, gelben Woodstock auf der Brust.
Nicht, dass ich ihn noch oft tragen würde. Tatsächlich eher gar nicht mehr, aber das ist auch egal.
Eine Freundin strickte mir diesen.
Manchmal gerät er mir zwischen die Finger, dann streiche ich darüber und muss lächeln. Bilder beginnen zu tanzen. Bilder aus luftigen Zeiten, die wie aus einem anderen Leben erscheinen.
Laute, beathaltige Musik zu Rauchwaren, die ein süßliches Aroma in der Luft hinterließen und blitzende Augenpaare mit verlangendem Ausdruck.

Dann höre ich hin und wieder alte Songs im Radio. Uriah Heep, Bee Gees oder so.
Kann schon sein, dass mir in diesem Moment ein großes Partyzelt vor dem geistigen Auge erscheint. Das Mädchen in den Armen, welches ich damals für die wunderbarste Schöpfung auf Erden hielt.
Wir tanzten, besser stolperten, gemeinsam. Jedenfalls ziemlich eng umschlungen. Beide von dem Moment berauscht.
Ihren Namen weiß ich sogar heute noch. Nicht aber, wohin es sie getragen haben mag.

Dann sehe ich manchmal einen alten Wagen über die Straße rollen. Opel Kadett C. Meiner war Baujahr 76. Autobahnschildblau, so die Farbdiagnose eines Freundes.
Immerhin 160km/h schaffte er mit ordentlichem Anlauf .Auch auf der Fahrt nach München und das, obwohl er voll besetzt war.
Vier Kerle zu einem Kurztrip in die Landeshauptstadt. Reichlich Alkohol und lockere Sprüche auf der Agenda.
Fragt mich heute nicht mehr nach Details. Darüber liegt ein promilleschwerer Nebel des Verblassens.
Den ein oder anderen treffe ich heute noch. Dann erinnern wir uns lachend und es ist, als sei es gestern gewesen.

Professor Dumbledore, der aus den Harry Potter-Romanen, besitzt ein "Denkarium". Eine Steinschale, in der Erfahrungen ablegt werden. Dabei zieht er diese wie Silberfäden aus seiner Schläfe. Ein probates Mittel gegen den immer voller werdenden Kopf. Macht das Oberstübchen frei und lässt klarer blicken, so seine Meinung.
Wäre nicht nach meinem Geschmack. Kaum eine Erinnerung, die ich hergeben wollte und irgendwie gehören die zu mir. Lassen mich Dinge auf meine Weise betrachten.
Vielleicht so wie ein Kaffeefilter, den ich mit meinem Erlebten fülle und Eindrücke darüber laufen lasse.
Das, was sich dann im Behälter sammelt, ist mein persönliches Destillat. Ich mag es heller und gebe Milch hinzu. Manchmal sogar Zucker - wenn mir gerade nach süß ist.
Es schmeckt und belebt mich.
Tag für Tag.

© by P.H.