Sie war nicht das, was ich erwartet hatte...
Wir hatten uns virtuell angenähert. So richtig. Sie wusste, welches meine liebsten Antibiotika waren. Ich kannte ihre bevorzugte Einkommensteuer-Software. Die Hosen waren heruntergelassen. Eine reale Begegnung war nun unvermeidlich.
Ihr Profilbild war nett. Nett im Sinne von sympathisch und durchaus ansprechend. Ein fröhliches Gesicht mit kleinen Lachfalten um die dunklen Augen. Braunes, schulterlanges Haar, das sie vertrauenswürdig erscheinen ließ. "Könnte Hochwasserversicherungen verkaufen oder orthopädische Schuheinlagen", so meine Gedankengänge.
Die Telefonate hatten mich weichgekocht. Mehr Schnurren als Stimme. Eine dezente Einfärbung wie unter Einfluss von Single-Malt-Whisky und handgerollten, kubanischen Zigarren, aber ganz und gar nicht unweiblich. Eher phantasieanregend.

Sie kenne ein hübsches, ruhiges Cafe auf halber Distanz, hatte sie gesagt und dabei klang ihre Stimme wieder als würde eine Uhrmacherfeile über die Saiten einer Violine streichen.
Neugier wurde geweckt und andere, vergessen geglaubte Gefühlsregungen.

Das Navi hatte mich sicher geleitet und so lief ich schon vor der Zeit in den Laden ein. War wirklich eine geschmackvolle Lokalität - Truckertreff. Mit Postern von üppigen Damen in sehr sommerlicher Bekleidung und Plastikstühlen aus der Gartenabteilung eines Discounters. Die Musikbox am Ende der endlosen Theke ließ plärrend Countrymusik ertönen und der Wirt reichte mächtige Bierkrüge an die Anwesenden.
Ein solcher wurde mir auch ungefragt ausgehändigt während ich Platz in einer Ecke der Gaststube bezog.

Die intime Atmosphäre genießend ruhte mein Blick auf der Eingangstür als sich diese öffnete und eine Frau in den Laden gespült wurde. Typ Angelina Jolie. Groß, schlank, gesetzeswidrige Kurven und im Gegensatz zu ihrem prominentem Ebenbild eine wilde, blonde Mähne. Sie schaute sich suchend um, entdeckte mich und steuerte prompt auf den Tisch zu.
"Jana - wir kennen uns", sagte sie lächelnd und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
Ich erwiderte die Begrüßung und deutete auf den Stuhl neben mir.
"Torben - setz Dich doch."
Sie bezog Position neben mir und schaute mich an.
"Und, was sagst Du?"
"Nun, ich hatte eine andere Vorstellung. Das Bild entspricht Dir so gar nicht.."
Jana lächelte wobei die vollen Lippen eine makellose Zahnreihe entblößten.
Ihr knappes Oberteil ließ den Blick auf eine üppige Naturtheke zu.
Anwesenden Herren schien dies ebenfalls nicht entgangen zu sein, wie die zahllosen, herumfahrenden Köpfe belegten.
Ein Männertraum, der sich an diesem Ort materialisiert hatte.

Ihre Hand ruhte nun auf meinem Oberschenkel.
"Du bist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe", flüsterte sie und die mandelförmigen Augen ruhten wohlwollend auf meinem Gesicht.
"Tja, allerdings habe ich meine Prinzipien."
Verwirrt musterte sie mich.
"Was meinst Du damit?"
"Nun, das Bild war eindeutig nicht von Dir. Geht gar nicht."
Sie zuckte zurück.
"Aber..."
"Lass gut sein", entgegnete ich und schob den Stuhl zurück.

Beim Hinausgehen wurde der Wirt von mir durch ein großzügiges Trinkgeld bedacht.

Auf der Heimfahrt genoss ich das erhabene Gefühl eiserner Prinzipientreue und erfreute mich an der hupenden Wagenkolonne im Rückspiegel während mein Gefährt beharrlich die linke Autobahnspur hielt. 90 km/h und Tempomat.

© by P.H.




flying turtle am 12.Jan 11  |  Permalink
Weil sie nun blond gefärbt war?