Stachelzone
"Nein, heute nicht", lasse ich mit schwachem Widerstand vernehmen und schiebe ihre Hand aus dem frontalen Äquatorgürtel.
"Warum?"
"Wildwuchs, die Wiese ist nicht gemäht."
Sie schnaubt verärgert und setzt sich im Bett auf.
"Nene, mein Lieber, so kommst Du mir nicht davon."

Unwiderstehlich süß ist sie, wenn sie so engagiert ein Ziel verfolgt.
Dann blitzen die Augen in wacher Kampfeslaune, kleine Fältchen bilden sich auf ihrer Stirn und der Mund beschreibt einen spitzen Kreis.
"Wenn Du den Abbruch jeglicher diplomatischen Beziehungen verhindern willst, wird es Zeit für Verhandlungen."
Keine Frage, die Lage ist ernst.

"Nun, woran hast Du gedacht?"
"2+4-Gespräche", kommt es wie aus der Pistole geschossen
Ziemlich fragend muss ich sie wohl anschauen: "2 ok, aber wer sind die anderen 4?"
Sie deutet auf meinen kleinen Spielgefährten und eine Kopfbewegung weist zwischen ihre Beine.
"Verstanden", muss ich grinsend bekennen, "es fehlen aber immer noch 2."
Sie streicht über ihr Shirt, was die Zwillingsgeschütze deutlich zum Vorschein treten lässt.
Klar, wo die Diplomatie versagt, müssen Drohkulissen geschaffen werden.

Ergeben nicke ich und erwarte den Beginn des Tribunals.
"So, hätten wir das geklärt. Nun zu Dir."
Ihr Finger zielt auf mich.
"In meiner Eigenschaft als Landespflegerin erhebe ich hiermit akuten Anspruch auf Nutzung der Landezone."
"Hör mal, die ist aber gerade nicht befriedet. Ziemlich ungastlich. Lass uns das doch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, wenn die Stachelzone wieder begehbar."

Statt einer Antwort fasst sie meinen einäugigen Kampfgefährten und haucht ihm einen Kuss auf das purpurne Mützchen.
Jetzt fühle ich mich wirklich verraten, da selbst mein treuer Freund die Fronten wechselt und durch Hebung des Schlagbaumes seine Zustimmung signalisiert.
"Tja, 5 gegen 1, würde ich sagen", meint sie und ein triumphierendes Grinsen umspielt ihre vollen Lippen.

Wie soll ein überzeugter Demokrat anders reagieren als sich der überwältigenden Stimmenmehrheit zu beugen?
Tatsächlich wäre an dieser Stelle nun der Einsatz von leichtem Räumgerät zu erwarten gewesen. Auffahrt von Planierraupen in unwegsamen Gelände oder so.
Nein, stattdessen geht sie wortlos in die Offensive und beginnt mit der Einnahme umstrittener Landstriche.

Naja, der weitere Verlauf der Kampfhandlungen mag hier nicht von Bedeutung sein.
Eroberung und Rückgabe von Gebieten. All die intensiven Gefechte bis hin zur Aufgabe und abschließendem Salutschuss.

Diplomatie ist die Kunst einen Kuchen so aufzuteilen, dass jeder denkt, er hätte das größere Stück bekommen.
Hat der Ludwig Erhard mal gesagt.
Ich denke, letztendlich fällt die Entscheidung auf dem Platz.
Ist ne alte Fußballweisheit.

© by P.H.