Die Frau - das unbekannte Wesen
"Schneckenalarm auf 3 Uhr", sagt Thomas und stößt mich in die Seite.
Ich zucke zusammen und schaue auf die Tanzfläche.
Tatsächlich, eine glatte 8 auf der Schnittenskala bewegt gerade ihre Hüften zu den Beats, die wummernd aus den mächtigen Boxen dröhnen.
Ihr langes, dunkles Haar schüttelt sie im Takt der Musik und gewährt dabei einen Blick auf ihr hübsches Gesicht.
Schwarzer Lippenstift. Himmel, ich liebe schwarzen Lippenstift.
Es fällt mir schwer, die Augen von dieser Erscheinung zu lassen.
Thomas grinst.
"Und, Alter - was ist?"
Ich nicke ihm zu, will mich erheben und im nächsten Moment sehe ich wie die Lady irgendwo in der Menge verschwindet.
"Shit!", denke ich und nehme die Verfolgung auf.
So sehr ich aber auch Ausschau halte - sie bleibt verschwunden.
"Come on, die taucht sicher irgendwann wieder auf", meint Thomas tröstend, als wir später den Laden verlassen.
"Quatsch, die war nicht von dieser Welt. Sicher nur auf der Durchreise zu einer anderen Galaxie", erwidere ich resigniert.
Er lacht und klopft mir aufmunternd auf die Schulter.
"Naja, vielleicht fand sie es gar nicht übel und landet demnächst wieder hier."
Der Spott in seiner Stimme ist kaum zu überhören.
Wir verabschieden uns und als ich später in den Schlaf sinke, träume ich von außerirdischen Invasionen.
Jede Menge UFOs und Amazonen vom Mars.
Der Morgen lächelt hell durch die Jalousie als ich erwache und den Weg in die Küche suche.
Die Kaffeemaschine röchelt asthmatisch während meine Gedanken dem gestrigen Abend nachhängen.
"Das nächste Mal bist Du schneller", fährt es mir durch den Kopf.
Ich greife nach den Zigaretten.
"Scheiße - leer", sendet die Hand an mein erwachendes Gehirn.
"Die Tankstelle ist nicht weit - dort gibt es Nachschub", die Antwort aus dem Denkzentrum.
Ich greife nach den Autoschlüsseln und begebe mich auf dem Weg.
An der Tankstelle herrscht mäßiger Betrieb.
Nicht das erste Mal, dass ich hier aufschlage.
Inzwischen ist mir das Personal bekannt.
Mit manchen pflege ich sogar hin und wieder etwas Konversation.
"Ja, das Wetter nervt", und "demnächst tanke ich Channel No.5 - ist preiswerter."
Solche Dinge.
Diesmal steht ein neues Gesicht an der Kasse.
Ich fokusiere meinen Blick und schaue weg.
Dann wieder hin.
Kein Trugbild - Lady Alien von der Tanzfläche tippt geschaftig Zahlen hinter der Theke ein.
Ohne Lippenstift, aber nicht minder umwerfend.
Als ich an die Reihe komme, gebe ich mit heiserer Stimme meinen Wunsch an.
Sie greift in das Regal, legt das Päckchen auf den Tisch, nimmt das Geld entgegen und wünscht einen guten Tag.
Dabei schaut sie nicht einmal hoch.
Frustriert ziehe ich von dannen und denke über eine neue Taktik nach.
"Möglicherweise solltest du an deiner Erscheinung arbeiten", durchfährt es mich.
Also heimwärts und den Kleiderschrank konsultiert.
Ich wähle eine figurbetonte Jeans und das poppiges Shirt vom Aldi-Wühltisch.
In der Tankstelle ist es ruhig.
Ich greife nach einem Schokoriegel und lege ihn auf die Theke.
Sie kassiert und wünscht einen guten Tag.
Wieder ohne den Blick zu heben.
Ich fluche innerlich und wähle diesmal ein dunkles Outfit.
Schwarze Jeans und schwarzer Rollkragenpullover.
Sie kassiert die Cola ab ohne ihre Augen vom Kassendisplay zu heben.
Wenig später stehe ich mit Hawaiihemd und Blümchenshorts an der Kasse und lege eine Tüte Chips auf die Theke.
Lady Alien schaut auf.
"Würden Sie mir einen Gefallen tun?"
Mein Herz vollführt einen freudigen Satz.
"Sicher", entfährt es mir.
"Wenn ich Ihnen meine Telefonnummer gebe, suche Sie sich dann eine andere Einkaufsmöglichkeit?"
Verlegen nicke ich mit dem Kopf und fühle mich irgendwie ertappt.
Sie greift nach einem Zettel, schreibt eine Zahlenfolge und reicht mir diesen.
Dabei umspielt ein Lächeln ihr Gesicht.
Nun, was soll ich sagen?
Wir haben miteinander gesprochen - am Telefon.
Kommenden Samstag steht ein Date auf dem Plan.
Zugegeben - ich zähle die Stunden.
Aber mal unter uns: Eine Frage treibt mich jetzt echt um....was zum Henker soll ich anziehen ???
© by P.H.
dunkelgrell am 05. Januar 11
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