Weltnachbarschaftstag und eimerweise Mousse au Putz
Es ist Zeit für eine Renovierung. Die Fototapete zeigt deutliche Verfärbungen. Verfärbungen an deren Herkunft ich mich gar nicht mehr erinnern kann und will. Außerdem scheint mir Pamela Anderson als Motiv nicht mehr ganz zeitgemäß. Stellenweise ist das Wandtextil sogar abgeblättert und offenbart einen mondartigen Untergrund.
"Verputzen", denke ich.
Aus der Kraterlandschaft soll eine Tafelebene entstehen.
Manchmal packt mich ja wirklich der Tatendrang.

Die Organisation der passenden Cerealien im Baumarkt meines Vertrauens ist schnell erledigt.
Das Enfernen der Tapete verläuft dann ebenfalls ziemlich problemlos.
In der Küche finde ich eine Flasche "Blaufelder Schädelspalter". Ein Präsent der örtlichen Bank zum Weltspartag 1974. Diesem fiesen Tropfen haben die Tapeten nichts entgegenzusetzen und lösen sich widerstandslos vom Untergrund.

Vorsorglich habe ich zwei Mischeimer erstanden. Einen davon nutze ich, um den Putz anzusetzen. Mit der rühraufsatzbestückten Bohrmaschine ein Kinderspiel. Das Zeug hat sehr schnell die erforderliche Konsistenz. Ein Zustand, der irgendwo zwischen cremig und sehnig anzusiedeln ist. Mousse au Putz oder so.

Wie ich da so stehe und die Heimwerkerseele zufrieden das Zwischenprodukt feiert, klingelt es an der Tür.
Wie immer unpassend.
Ich stiefel durch den Flur und öffne. Frau Dinkelmeier steht im Rahmen. Ihre Miene spiegelt pure Verweiflung wider.
"Ach, gut, dass sie da sind! Meine Enkel kommen morgen zu Besuch. Jetzt wollte ich einen Kuchen backen und musste feststellen, dass mir dazu Eier fehlen. Könnten Sie mir vielleicht aushelfen ?"
Dabei wirft sie mir einen herzerweichenden Blick durch die kristallaschenbecherartigen Gläser der Brille zu.
Ich nicke freundlich, bewege mich in die Küche, fische zwei Eier aus dem Kühlschrank und reiche sie ihr.
"Entzückend! Herzlichsten Dank, sie sind ein Engel!"
Sie grinst breit über ihre Hamsterbacken und schüttelt mir heftig die Hand.
"Ein Stück ist bereits für Sie reserviert."
Sie wirft mir noch einen verschwöhrerischen Blick zu, winkt und verschwindet im Treppenhaus.
Ich schließe die Tür.

Der Putz hat eine zähe Konsistenz angenommen. Auch die Zugabe von Wasser bringt keine wesentliche Veränderung.
Jetzt heißt es schnell zu sein. Also tauche ich die Kelle in die Masse....es klingelt an der Tür.

Herr Schnerzelbauer steht im Türrahmen. Rentner und selbsternanntes Kontrollorgan der Mietergemeinschaft. Typ Kissen auf dem Fensterbrett und ständig auf Beobachtungsposten. War früher sicher mal Radarfallenbetreiber.

"Sagen´se mal, ham´se auch den Krach heut´ Nacht gehört? Diese Frau Werling hatte wohl mal wieder Herrenbesuch. War nicht zu überhören."
Er wirkt ziemlich aufgebracht. Seine Schweinsaugen blitzen kampflustig unter den buschigen Ugenbrauen hervor.
Ich denke an die vergangene Nacht und den Spaß, den ich mit Merle hatte. Auf einer Skal von 1 bis 10 eine glatte 8.
"Ja, stellen Sie sich vor und es war mal echt geil."
Dabei grinse ich gespielt versonnen.
Seine Miene erstarrt und ich werfe die Tür zu.

Die Kelle ist nicht mehr aus der erhärteten Masse zu lösen. Mit einigen Schlägen auf den Griff kann ich sie dennoch aus der Umklammerung befreien.
Der andere Eimer muss nun herhalten. Ich rühre erneut das Gemisch an bis es die erwünschte Konsistenz aufweist.
Es klingelt.
Heute muss Weltnachbarschaftstag sein.

Ich trabe zum Eingang und öffne.
Frau Holt. Wird von allen inoffiziell Fr. Ewing genannt - in Anlehnung an J.R.
Genauso schmierig und ränkeschmiedend wie das Serienekel.
"Der Willi war doch gerade bei ihnen, gell ?"
"Willi?"
"Na, der Schnerzelbauer. Hat sich doch über die Werling ausgelassen."
Sie wirft mir einen verschwörerischen Blick zu und knufft mich in die Seite.
"Ich weiß das doch mit ihnen und der Werling."
Irgendwie ist mir diese Unterhaltung unangenehm und ich verspüre keine Lust auf die Fortsetzung des Dialoges.
"Wenn der heiße Streifen fertig geschnitten ist, lasse ich ihnen eine Exemplar zukommen", sage ich und werfe die Tür ins Schloss.

Der Putz ist zäh und dickflüssig.
Während ich noch weitere Schritte überlege, klingelt es an der Tür.
Merle lächelt mich verführerisch an.
Wir setzen das fort, was wir vergangene Nacht begonnen haben.

Es ist morgens, als ich einen Blick auf meine Baustelle riskiere.
In den Eimern starrt mich eine betonartige Masse an.
Mit dem Meisel lässt sich das Zeug herausschlagen.

Ich habe jetzt ein neues Geschäftsfeld.
Fertige Selbstschussanlagen aus erstarrtem Feinputz und verkaufe die bei eBay.

© by P.H.