Der Fluch
Als Melinda die Lichtung betrat, neigte sich der Tag bereits dem Ende zu. Die Sonne ließ letzte rote Strahlen durch die Baumwipfel streifen, als wollte sich mit einem wärmenden Gruß in die Nachtruhe verabschieden. Die Stille war von täuschender Friedlichkeit. Vereinzelt ließ sich Vogelgezwitscher ausmachen und es war, als ob dieser Ort und diese Zeit sie zu betören und in Sicherheit wiegen wollte.

Melinda wusste um dem, was kommen würde. Sie strich über die lederne Brustpanzerung und vergewisserte sich des festen Sitzes indem sie prüfend die Finger über die Verschnürung gleiten ließ.

Melinda hatte kaum die Mitte des Platzes erreicht, als die Ereignisse ihren alljährlichen Verlauf nahmen. Die Kriegerin hörte ihn durch das Unterholz brechen. Schnaubend und mit schwerem Schritt bahnte er sich seinen Weg. Weit konnte er nicht mehr sein, vermochte sie bereits seinen modrigen Geruch wahrzunehmen.

Mit kühler Gelassenheit zog sie das Schwert aus der Scheide und drehte sich in die Richtung der brechenden Äste. Melinda hatte kaum ihre Kampfhaltung eingenommen, als die Bestie sie mit einem gewaltigen Satz anzugehen suchte und dabei scheinbar mühelos die Waldgrenze hinter sich ließ. Die Kriegerin war vorbereitet und mit einer schnellen Körperdrehung hatte sie sich aus der Gefahrenzone bewegt, sodass der Angriff ins Leere ging.

Wütend zuckten die Köpfe des Höllenhundes herum, als er wieder Boden unter seinen Pranken spürte. Aus glühenden Augen maß er sie und sein Muskelspiel ließ erahnen, dass er im Begriff war, einen erneuten Angriff zu führen.

Melinda umfasste den Griff des Schwertes mit beiden Händen und ging in Abwehrhaltung. Mit einem wütenden Knurren schwenkte die Bestie herum und sprang sie erneut an. Die Kriegerin vermochte in letzter Sekunde dem Angriff auszuweichen, spürte aber den stechenden Schmerz als eine der Krallen ihren Arm streifte und eine blutende Wunde hinterließ. Melinda unterdrückte den Schmerz und nutzte die Sekunde in der die Bestie sich erneut zu orientieren suchte. Sie trat heran und mit einem gewaltigen Hieb ihres Schwertes trennte sie einen der Köpfe vom Rumpf des Höllenhundes.

Die Bestie ließ eine wütendes Heulen vernehmen, während die verbliebenen Köpfe herumfuhren und sie mordlüstern fixierten. Melinda wusste um ihre Chance dem Treiben ein Ende zu bereiten, würde doch nun eine unüberlegte Attacke in blindem Zorn folgen.

Sie gab federnd ein wenig in den Knien nach, als der Höllenhund erneut zu einem Sprung ansetzte. Melinda schwang zurück, sodass sie sich dem Unterkörper der Bestie gegenübersah. Mit einer raschen und gezielten Bewegung stieß sie das Schwert tief in die Brust des Höllenhundes. Blut rann aus der Wunde und färbte die Erde in dunklem Rot. Das wütende Knurren der Bestie erstarb und wurde zu einem langgezogenen Heulen, das schließlich verklang, als diese zu Boden fiel und leblos zu liegen kam.

Melinda atmete schwer. Sie wischte das Blut von ihren Händen im Gras ab und näherte sich dem Untier. Wissend um die kommenden Momente, die Jahr für Jahr herbeigesehnt, ließen sie ihr Herz nun in rasendem Takt höher schlagen.

Die Kriegerin zog das Schwert aus der Wunde, sah zu, wie sich diese sofort verschloss und die Wandlung einsetzte. Der mächtige Körper des Höllenhundes veränderte sich. Köpfe bildeten sich zurück, der Rumpf zuckte, waberte und nahm Gestalt an - Beine, Arme und die Gesichtszüge eines Menschen wurden sichtbar.
Wenig später war die Verwandlung abgeschlossen und sie blickte auf den Körper eines Mannes.

"Tarig..."
Er schlug die Augen auf und sah sie an: "Melinda...Du hast erneut..."
Sie ließ sich in seine starken Arme sinken, ihre Lippen trafen sich und es war, als wären sie nie getrennt.
Hastig streifte sie die Kleidung ab und legte sich an seine Seite.

Sie berührten sich, erst zart, vorsichtig, dann fordernd und schließlich umklammernd, während sie sich dem Liebesspiel hingaben.
Ertrinkende, Hungernde - immer und immer wieder verlangten sie einander.

Der volle Mond tauchte die Lichtung in ein geheimnisvolles Licht und ließ ihre Leiber weiß schimmern, während sie sich im gemeinsamen Rhythmus wiegten.

Es mochten Stunden vergangen sein, als beide die Müdigkeit erfasste und erschöpft zur Ruhe kommen ließ.
"Melinda, wie lange bleibt uns...?"
Sie sah zum Himmel auf.
"Wenige Stunden - die Sonne wird bald aufgehen."
Tarig drehte sich und nahm ihren Kopf in seine Hände.
"Ich liebe Dich."
Tränen schimmerten in ihren Augen.
"Ich weiß, ich liebe Dich nicht minder...dieser Fluch..."
Traurig sah er sie an. Sie schaute das Gesicht des geliebten Mannes. Seine vollen Lippen bebten und sie wusste um die schmerzhaften Ustände ihrer Verbindung, fühlte sie doch gleiches.

Sie schauten sich in die Augen und lasen ihre Seelen. Worte, die nicht gesprochen wurden, Gedanken, die nicht formuliert werden mussten, Gefühle, die keiner Ausführung bedurften.

Der Tag war bereits hereingebrochen und die Sonne sandte vorsichtig erste Strahlen über die Baumwipfel, als Tarig sie verließ.
Melinda blieb zurück, war ihr der Zugang zu dem Ort doch nicht gestattet.

Tränen flossen über ihre Wangen, während ihre Augen ihn verfolgten, bis er nicht mehr sichtbar.
Ein Blick in tiefer Wehmut, während er ein letztes Mal den Kopf wendete und verschwand - die stumme Frage nach einem Wiedersehen in seinem Gesicht geschrieben.
Sie sah ihm noch nach, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, ihre Tränen versiegt und der Körper müde vor Trauer...

© by P.H.