Der heiße Draht
Lümmel in halbliegender Position auf dem Bett, Laptop vor mir, als das Handy klingelt.
Die Nummer auf dem Display erscheint mir so nichtssagend wie eine Phil Collins-Platte.
"Hallo?"
"Du hinterlistige Ratte..(lautes Schniefen hörbar)...warum hast Du mir das angetan?"
In wilder Abfolge tanzen Gesichter vor meinem geistigen Auge. Zuordnung jedoch nicht möglich. Keine Ahnung, wem ich nun wieder das Dasein vermiest haben könnte.
Meine Entscheidung fällt auf die multikompatible Taktik.
"Äh...es ist nicht so wie Du denkst."
Laute Schnäuzgeräusche am anderen Ende.
"Ach ja ? Warum erzählt Jessica dann überall wie geil die letzte Nacht war ?"
Erleichterung macht sich bei mir breit.
Meine letzte "geile" Nacht lässt sich mit reichlich gutem Willen irgendwo in die Kreidezeit datieren und gewiss war da keine Jessica involviert.
"Wer ist denn da ? Hör mal, ich glaube, Du hast Dich verwählt."
"Nele...Marcel?"
Ein nervöses aber deutlich erleichtertes Lachen entgleitet mir.
"Nein, ich bin nicht Marcel. Welche Nummer hast Du denn gewählt?"
Wir gleichen die Ziffernfolge ab und stellen fest, dass die letzte Zahl einen Dreher enthält.

Als sie aufgelegt hat, wähle ich Marcels Nummer.
"Hey, Nele hat mich gerade angerufen. Ärger droht. Das mit Jessica ist aufgeflogen."
Schweigen.
"Alder, wer bist Du denn, was hast Du mit der Sache zu tun?"
Ich schildere ihm die Umstände und berufe mich auf männliche Solidarität.
Schweigen
"Ok, Alder, gecheckt. Krassen Dank. Hömma, bist cool. Kannste Jessi anrufen und ihr stecken, dass sie die Klappe halten soll?"

Halbe Sachen sind nicht meines. Also nehme ich die Nummer entgegen und lasse es klingeln.
"Ja?"
Verführerische Stimme.
Wenn sie so ist, wie sie klingt, hat Marcel mein vollstes, testosteronhaltiges Verständnis.
Sie lauscht meiner Erzählung gespannt und beteuert glaubhaft, nie etwas mit Marcel gehabt zu haben.
Überhaupt wäre dieser ein Blindflansch und bestenfalls als Korrekturleser in der M&M-Fabrik zu gebrauchen.
Außerdem hätte Kai diese ganze Sache in die Welt gesetzt und Kai hätte Beef mit Marcel, weil dieser mal seine Schwiegermutter geknattert hätte.

Mein Schädel brummt und ich werfe mir eine Aspirin ein.
Zwei weitere Nummern umfasst nun mein Telefonspeicher.
Ich überlege kurz und wähle dann erwähnte Schwiegermutter an.
Am anderen Ende der Leitung meldet sich Schwester Bernadetta vom Kloster der Franziskanerinnen.
Feine Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn und ich verspüre ein ungutes Gefühl in der Magengegend.
Allmählich wächst mir die Sache über den Kopf.
Mit dem Herren da oben habe ich ein stilles Agreement - wir gehen uns vorläufig aus dem Weg.

"Oh, Verzeihung - falsch verbunden."
Ich lege auf, tupfe mir die Stirn ab und atme durch.
Eine Nummer verbleibt.
Neues Spiel, neues Glück.
"Gay-Club Tucan, wie kann ich Dir helfen, mein Lieber?"
Mir entfährt ein kurzes, trockenes Hüsteln, dann frage ich nach Kai.
"Ach, Schatz, der ist gerade beschäftigt, aber wir hätten noch..."
Ich unterbreche ihn, bedanke mich höflich und versichere, mich später wieder zu melden.

Die Kiste wird mir nun endgültig zu heiß.
Zurück zum Start.
Nele hebt ab und erklärt mir , dass sie soeben die Beziehung zu Marcel pulverisiert hätte.
Ich beglückwünsche sie zu der Entscheidung und verabrede mich auf einen Kaffee mit ihr.
Irgendwie scheinen mir die Sterne doch gewogen.
Ich glaube, da geht was.

© by P.H.