Gedanken an einen Abschied
Wann wir uns das erste Mal begegneten - ich weiß es nicht mehr. Es liegt viele Jahre zurück und ich befand mich damals in einer Ausbildung. Es musste in einem der zahllosen Gänge gewesen sein, als wir uns begegneten. Wohl sicher ein zufälliges Vorbeihuschen. Ein hübsches Gesicht umrahmt von einer Mähne blonden Haares, fröhliche Augen, volle Lippen, die den Anschein erweckten, als wären sie stets zu einem Lächeln geformt. Ich ertappte mich dabei, länger als gewöhnlich, meinen Blick auf sie zu richten. Mag sein, dass sie meinen Blick erwiderte oder nur geschäftig an mir vorbeizog.

In der Foge wurden die Begegnungen zahlreicher und ich konnte nicht umhin, sie das ein oder andere Mal verstohlen aus den Augenwinkeln zu beobachten. Ihre schlanke Erscheinung, der kleine, süße Po, wenn sie ihre Hüften schwang und sich rasch durch die Räume bewegte, die vollen Brüste, die sich unter ihrem Shirt abzeichneten. Sie schlug mich in den Bann und mir schien, als würde es eine stille Schwärmerei bleiben, war sie doch zweifellos eine Erscheinung, die nicht nur meine Blicke zu fesseln vermochte.

Der Zufall wollte es und wir wurden beide in die gleiche Abteilung versetzt. Wir lernten uns kennen, oberflächlich - redeten über Musik, Menschen und den Job, wenn es die Zeit erlaubte. Tatsächlich war das Eis gebrochen und wir scherzten miteinander. Ich mochte ihr lautes, helles Lachen. Nicht verstohlen oder höflich zurückhaltend. Nein, gelegentlich warf sie den Kopf in den Nacken und prustete lauthals los. Dann fühlte man sich mitgerissen und animiert, den Faden weiterzuspinnen.

Eines Tages, als wir in einer fröhlichen Unterhaltung vertieft, ließ ich, wie beiläufig, die Bemerkung fallen, dass wir unser Gespräch bei einem Getränk und in zwangloserer Umgebung fortsetzen könnten.
"Sicher, lass uns das tun", grinste sie.

An einem der folgenden Abende trafen wir uns in einem Cafe. Den Ort weiß ich nicht mehr, an den Verlauf erinnere ich mich ebenso wenig. Mir ist noch im Gedächtnis, dass ich sie später nach Hause fuhr. Eine Weile saßen wir noch im Auto, bevor wir uns verabschiedeten. Ich sah ihr im Halbdunkel hinterher und dachte an die zurückliegenden Stunden voll gelassener Fröhlichkeit. Diese Frau schien mir so vollkommen und unerreichbar. Es mag der Grund dafür gewesen sein, dass ich, trotz aller Gelöstheit, eine scheue Distanz wahrte. Keine Berührung suchend, ihren Blick nur scheu erwidernd.

Am nächsten Tag ließ uns die Routine nur wenig Zeit für privaten Austausch. In den wenigen Minuten zwischen Akten und Telefon befanden wir aber beide den vergangenen Abend für wiederholungsbedürftig.
In einem Moment sah sie mich an.
"Warum bist Du eigentlich nicht mit zu mir gegangen, als Du mich gestern abgesetzt hast ?"
Für eine Sekunde war ich erstarrt und wirre Gedanken schossen mir durch den Kopf. Mochte es ein, dass meine Ohren die Worte vernommen, aber deren Bedeutung noch nicht erfassten. Diese Frau, die mir so fern schien, hatte mich indirekt zur Offensive aufgefordert...

Es kam das Wochenende und wir trafen uns erneut. Die Klubs, die wir besuchten, sind meiner Erinnerung entfallen. Es war bereits dunkel, als ich ihr auf das Zimmer folgte. Sie zündete Kerzen an und ließ Musik erklingen. Ich meine mich an David Bowies Stimme zu erinnern. Wir küssten uns - zärtlich, dann fordernd und schließlich wild entflammt.

Ihr Körper war von perfekter Schönheit und sie ließ mich von ihm kosten. Wir liebten uns wie Hungernde - intensiv und ausgiebig. Umklammerten uns wie Etrinkende, fanden einander wie Suchende.
Der Morgen brach an und rötlich schimmernde Sonnenstrahlen fluteten das Zimmer. Ein Farbenspiel aus tanzendem Licht strich über das Bett und ließ ihre Haut golden erscheinen.
Wohlige Wärme durchströmte unsere Glieder.
"Du, ich muss bald fahren", sagte sie mit leiser Stimme, während sie mit einem Finger feine Muster in die Schweißperlen auf meinem Bauch zeichnete.
"Fahren?"
"Ja, ich habe bereits gepackt. Es war dies mein letzter Tag. Ich gehe wieder zurück in den Norden, zurück zu meiner Familie, meinen Leuten."
Ich schluckte schwer.
"Du kommst nicht wieder ?"
"Nein", sagte sie.
Aufkommende Traurigkeit erfasste mich. Nein, es hatte keine Gedankenspiele für die Zukunft gegeben, aber diese Entwicklung war keine, die ich erwartet hatte.
"Lass uns die verbleibende Zeit leben", waren ihre Worte.
Sie nahm einen Schluck aus dem Sektkelch und reichte mir die Tüte, die sie vorher kunstvoll gedreht hatte.
Farben, Gedankenfäden, Stimme und Haut verschwommen zu einer Einheit, die mich umspülte und in deren Strudel ich mich verlor.
Erneut liebten wir uns bis wir erschöpft und voll gesättigter Leidenschaft nebeneinander zu liegen kamen.

Der Abschied war kurz und voller Wehmut.
Als ich im Auto saß, widerstand ich der Versuchung hinaufzueilen und sie um Verbeib zu bitten.

Besondere Momente und der Zauber, der in ihnen wohnt, sind gezeichnet durch Freude und Schmerz.

Wir haben uns nie wieder gesehen. Einmal telefonierten wir noch, dann verloren sich die Spuren. Ich weiß nicht, wo sie heute ist und wie ihr Leben verlaufen sein mag...

© by P.H.