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Während der Kaffee röchelnd durch die Maschine läuft, fahre ich den Compi hoch. Die Seite lädt wie immer im Zeitlupentempo. Auf den Osterinseln oder wo zum Henker die Server stehen mögen, scheint der Admin wieder Resident Evil auf der Maschine zu spielen.
Nachrichten eingegangen. Eine Svetlana schreibt: "Ich sah dein profil auf und wollte wissen Sie besser. let's do this ...senden Sie Bilder oder Sie schreiben und Sie Fragen an mich stellen, so da? ich Ihnen sagen konnte, mehr uber mich, okay?" Der Sprachhäcksler hat wieder ganze Arbeit geleistet. Der Löschbutton entfernt das Heiratsgesuch aus meinem Sichtfeld.
Ich frage mich, ob Monica Bellucci eine Mailadresse hat und ob ich sie mal anschreiben sollte.
Frühstück fällt aus. Die letzte Dose Thunfisch habe ich gestern mit der Katze geteilt. Einsam fristen 2 Flaschen Altbier ihr Dasein im Kühlschrank. Eine Option für den Nachmittag.
Der Kaffee ist heiß und stark. Sehr stark. Ich überlege, ob er wohl zum Abbeizen von Möbeln geeignet wäre.
Bunte Bilder lachen mich an. Zucken wie defekte Leuchtreklame und machen mich nervös - nichs für Menschen mit Epilepsieneigung. Liebe Grüße und aufmunternde Tagesparolen.
Das Telefon klingelt. Chef fragt, wann ich in der Firma aufzuschlagen gedenke. Ich murmele etwas von Kopfweh und Übelkeit. Er wünscht mir ein gute Besserung.
Virtuelle Dresche für virtuelle Existenzen. Hin und wieder Gedankeninseln. Ich lächele, bin berührt und hinterlasse Zeilen.
Mein Magen knurrt unüberhörbar. Ernesto meldet sich am anderen Ende der Leitung. Ich bestelle eine große Pizza und ordentlich Wein. Wenig später klingelt es an der Tür und die Lieferung trifft ein. Ein verschwitzter Student überreicht mir die Ware. Sauberer Rechtsscheitel und Pullunder - vermutlich Maschinenbau oder Elektrotechnik. Ich lasse einige Euros Trinkgeld springen und hoffe, dass es gut angelegt ist - in die Zukunft unseres Landes.
Ich esse Pizza und die Katze beobachet mich aufmerksam bis ich mit ihr teile. Denke nicht, dass es angemessene Nahrung für den Zimmertiger ist. Morgen kaufe ich Futter - versprochen. Sie nickt, als würde sie meine Gedankengänge lesen.
Virtuelle Blumen und Handzeichen. Es ist als wäre ich auf ein fahrendes Karussell aufgesprungen und würde mich nun in einer Kreisbahn mit anderen befinden.
Irgendwann ist der Wein geleert und der Kühlschrank nun endgültig ohne Inhalt. Das Karussell dreht sich schneller und ich antworte, kommentiere und bewerte.
Stunden vergehen und irgendwann verliert das Karussell an Fahrt. Vor meinen Augen verschwimmen die Farben und Lichtpunkte tanzen Polka.
Ich klinke mich aus und falle in einen unruhigen Schlaf.
Im Traum sehe ich mich auf den Osterinseln und mit dem Admin Ballerspiele zocken - auf dem Single-Server. Selbstredend gewinne ich und trage die Maschine nach Hause.
Im Spiegel sehe ich Gollum, wie es über den Rechner streicht und "mein Schatz" murmelt.
Schweißgebadet schrecke ich aus dem Schlaf hoch und atme schwer.
Die Katze steht am Fußende und betrachtet mich mahnend aus Schlitzaugen, als hätte sie mich vor den Folgen der Virtualität gewarnt.
Es wird ein guter Tag werden, denke ich noch, als ich wieder einschlafe.
© by P.H.
dunkelgrell am 20. Dezember 10
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