Lakritz und Maria
"Is für´n Arsch", sagt Maria und schaut mich aus ihren dunklen Augen funkelnd an.
Die Kerze auf dem Tisch flackert dabei, als würde sie unter den Worten zusammenzucken.
Streitlustig ist sie, wie meist.
"Ficken" ist bisher noch nicht als sprachliches Ausdruckmittel in ihren Sätzen aufgetaucht.
Ich warte, ob es noch folgt.
Stattdessen greift sie in die Tasche und befördert eine Lakritzschnecke an das Tageslicht.
Sie fasst das Ende mit den Zähnen und zieht daran, als wäre es eine Tesarolle.
Irgendwie gefällt mir das - der Farbkontrast, wenn ihre weißen Zähne die schwarze Masse perforieren und stückchenweise verschwinden lassen.
Es ist ruhig in dem Cafe. Nur wenige Menschen bevölkern die Lokalität.
Die Kellnerin lehnt an der Theke und flirtet mit einem schmierigen Typen - Laufkundschaft.
"Wäre schade, wenn sie sich auf ihn einlassen würde", geistert es durch meinen Kopf.
Ich schlürfe an der Kaffeetasse und schaue Maria dabei an.
Keine Frage - verdammt süß, wie die blonden Haare ihr Gesicht umspielen.
Kaum zu glauben, dass dieser Mund immer wieder solch schattige Gedanken formuliert.
Dann wird mir aber bewusst, wie schmerzvoll das Leben für sie verlaufen sein mag.
Wie viele Verletzungen sie erlitten haben musste - Brandmale in den tiefen Schichten der Seele.
Sicher, sie verblassen im Laufe der Zeit, aber Zeichnungen werden zurückbleiben.
Oftmals möchte ich sie einfach nur in die Arme schließen und mich wie ein Wall zwischen sie und der Welt stellen.
Meinen Rücken all dem Leid und Elend zuwenden, sodass sie es gar nicht mehr zu sehen vermag.
Kindisch, ich weiß.
Möchte eine Hand auf ihre Stirn legen und all die düsteren Gedanken entziehen.
Vulkanier können das. Zumindest war es mal in einer Folge "Raumschiff Enterprise" zu sehen.
"Deine Worte, die Du hinterlässt und diese Menschen um Dich herum - ich verstehe das nicht", sie schüttelt den Kopf.
"Weißt Du, ich mag kein Lakritz. Ich denke aber, Du liebst es und es ist ok."
" Das ist etwas anderes...", entgegnet sie.
"Nein, ist es eigentlich nicht. Auch wenn ich nicht verstehen kann, warum man das Zeug konsumiert, so bin ich fest davon überzeugt, dass es nicht Dein Wesen verändert."
Bevor sie darauf antworten kann, beuge ich mich zu ihr herüber und ersticke die anrollende Wortlawine mit einem Kuss.
Ihre Lippen schmecken nach Lakritz.
Der Überraschungsmoment war ganz auf meiner Seite.
Ich spüre sie einen Moment erstarren, zögern, wie zu reagieren.
Gegen meine Erwartungen rückt sie aber nicht ab und ich fühle auch keine Hand auf meiner Wange niedergehen.
Vorsichtig, zögerlich erwidert sie den Kuss.
Wie weich ihre Lippen doch sind und voller Zärtlichkeit.
Wie groß der Widerspruch zu ihrer äußeren Hülle scheint.
Für einen Moment vergessen wir alle Dinge und genießen es, den Mittelpunkt allen Seins zu bilden.
Spät ist es, als wir uns verabschieden.
Sie lächelt und es scheint, als könnte sie einen Schritt aus ihren Schatten treten.
Die Zeit wird es zeigen.
© by P.H.
dunkelgrell am 16. Dezember 10
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