Wenn Wege sich kreuzen
"Komische Situation, findest Du nicht?"
Sie schaut ihn verlegen an.
"Ja, irgendwie schon."
Dabei rührt sie in dem Milchkaffee als wollte sie den Tassenboden mit dem Löffel ausfräsen.
Ihr Kopf ist gesenkt und das dunkle Haar fällt vorhanggleich in das Gesicht.
Ein schützender Schirm vor seinem forschenden Blicken, denkt er bei sich.
Vermutlich gewollt.
Ein nachdenklicher Ausdruck liegt in seinen Augen als er diese auf das Geschehen um sich herum richtet.
Geschäftiges Treiben herrscht in dem kleinen Bahnhofscafe.
Reisende hasten durch die Gänge ziehen Koffer hinter sich her. Verlängerte Arme, die mobile Habseligkeiten bewegen.
Das Geräusch der Rollen, die monoton über die Fliesen klappern mischt sich mit dem von den hohen Mauern widerhallenden Stimmengewirr.
An der Theke gibt der Kaffeeautomat ein schnaubendes Geräusch von sich während er unter Abgabe einer kleinen Dampfwolke schaumige Ergebnisse liefert.
Dazwischen erklingt eine blecherne Stimme, die in eintönigem Singsang nie endend wollende Fluten von Zeiten und Gleisen auf ein unkonzentriertes Publikum herabregnen lässt.
Eine akustische Wiese auf der sich zwei Menschen niedergelassen haben, die so deplatziert inmitten dieser Klangkulisse erscheinen.
"Und jetzt?"
Sie blickt von ihrer Tasse auf.
"Hm...ich weiß nicht. So viele Eindrücke. Bin gerade etwas überfordert."
Ihr Kopfnicken signalisiert Verständnis.
"Lass uns doch darüber schlafen und morgen wieder Kontakt aufnehmen."
"Wird wohl das Beste sein", erwidert er zustimmend.
Sie lächeln die Kellnerin herbei und hinterlassen ein großzügiges Trinkgeld.
Nur wenige Momente später haben beide das kleine Cafe verlassen und finden sich in der geschäftigten Menge wieder.
Ein gehauchter Kuss auf die Wange, ein verlegenes Lächeln bevor sie ihrer Wege gehen.
Schnell wächst die Entfernung zwischen ihnen.
Der Schlaf ist ein später Gast und hält sie beide mit ihren Eindrücke umklammert.
Erschöpft und von Kopfschmerzen gepeinigt lässt sie am nächsten Morgen die vergangenen Dialoge vor ihren Augen wandern.
Tausende von Zeilen. Manchmal sehnsüchtig, manchmal poetisch, manchmal zweideutig.
Sie lächelt und irgendwie wirkt es schmerzvoll.
Dann tippt sie die Worte ein, die ihr diesmal gar nicht luftig aus den Fingern gleiten wollen.
Hunderte Kilometer entfernt liest der Empfänger die kurze Nachricht und nickt traurig.
"Der Funke fehlte...die eigenen Gesetze der Realität...wünsche Dir eine gute Zeit."
Seine Antwort ist ähnlichen Inhaltes, verbunden mit ebensolchen Wünschen.
Während er das Laptop zuklappt denkt er an all die Monate voll täglicher Vorfreude in Erwartung ihrer Zeilen.
Die Stunden mit ihrer Stimme an seinem Ohr während sein Kopf auf das Kissen sank.
Die Abende an denen sie sich zu Schwüren hinreißen ließen und gewagte Zukunftspläne zeichneten.
Da wo sich über Monate ein schwirrendes Gefühl eingenistet hat, spürt er nun eine kalte Leere raumgreifend Platz fordern.
Es war nicht falsch. Nein, sie hatten sich beide auf das Spiel eingelassen.
Nur - die Realität ist ein Schiedsrichter. Sie sollte eine Begegnung eröffnen.
Als später Gast zum Abpfiff taugt sie nicht.
© by P.H.
dunkelgrell am 15. Dezember 10
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