Festliche Szenen
"Wann kommt denn diese Vollfluppe von Weihnachtsmann?"
Der Sprößling hat den Kopf in den Kamin gesteckt und leuchtet mit seiner LED-Lampe den Schacht aus.
"Geh da weg", ruft Mutter wobei sie die Worte langsam und gedehnt spricht.
Das Reden erfordert die ganze, eierlikörgetrübte Konzentration. Der Blick ihrer glasigen Augen ist dabei starr auf die Mattscheibe gerichtet.
Vater thront in seinem Sessel und starrt ebenso gebannt auf die Flimmerkiste.
Penetrant fröhliche Menschen tanzen über den Bildschirm und trällern stimmungshaltige Volksweisen.
Reichlich funkelnder Glitzer und Kunstschnee rieseln horizontal über das Gerät.
Der dauergrinsende Moderator ignoriert gekonnt das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Publikums und reitet Attacken gegen den guten Geschmack.
Schwiegermutter hat sich abgemeldet. Schon vor Stunden.
Ihr Kopf ruht auf der Brust und ohrenbetäubendes Schnarchen dringt aus der Kehle.
Vater fummelt wieder an der Fernbedienung, um das Sägewerk zu übertönen.
Junior schiebt sich Weihnachtsgebäck in den Mund und beobachtet interessiert wie sich der Speichel an Schweigermutters Kinn sammelt und auf ihr Kleid tropft.
Irgendwie fühlt er sich an den Bernhardiner der Nachbarn erinnert.
Als es klingelt springt Junior auf und sprintet zu Tür.
Im Eingang steht ein älterer Herr. Freundlich lächelt er ihn an während er den weißen Rauschebart streicht.
Einzelne Schneeflocken haben sich auf Mütze und Jacke seiner roten Bekleidung niedergelassen
"Hohoho, mein Kleiner, drauß´ vom Walde komm ich her."
Der Kleine schaut ihn an und verzieht das Gesicht.
"Alter, wie siehst Du denn aus?"
Sichtlich irritiert und mit gefrirendem Lächeln stammelt der Besucher: "Aber...aber... ich bin doch der Weihnachtsmann."
"Maaan, mach doch keinen auf Laberkasper. Santa ist cool, der kommt durch den Kamin."
Dabei misst er ihn mit abschätzigem Blick.
"Ach, weißt Du, die Knochen...ist alles nicht mehr so wie früher..."
In desem Moment schallt Vaters genervte Stimme aus dem Wohnzimmer: "Wer hat denn da geklingelt?"
"So´n Kalkbunker im Strampelkostüm", tönt Juniors Stimme durch den Flur.
"Was will der denn?"
"Keine Ahnung, meint, er wäre der Weihnachtsmann."
Aus dem Wohnzimmer dringt Gelächter.
"Sag ihm, wir kaufen nichts. Auf dem Regal in der Küche steht noch ein Jägermeister - gib ihm das."
Junior spurtet los, holt das Fläschchen und wirft es dem Besucher zu.
"Da, Alter, hau rein und nerv net mehr."
Mit lautem Knall wirft er die Tür ins Schloss und trabt zurück in das Wohnzimmer.
Mutter schaut ihn an und schüttelt den Kopf.
"Du sollst doch nicht immer so laut die Türen schlagen."
Das Sprechen fällt ihr sichtlich schwer.
Junior ignoriert sie, schnappt sich seine Lampe und stiefelt zum Kamin.
© by P.H.
dunkelgrell am 20. Dezember 10
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Online
Während der Kaffee röchelnd durch die Maschine läuft, fahre ich den Compi hoch. Die Seite lädt wie immer im Zeitlupentempo. Auf den Osterinseln oder wo zum Henker die Server stehen mögen, scheint der Admin wieder Resident Evil auf der Maschine zu spielen.
Nachrichten eingegangen. Eine Svetlana schreibt: "Ich sah dein profil auf und wollte wissen Sie besser. let's do this ...senden Sie Bilder oder Sie schreiben und Sie Fragen an mich stellen, so da? ich Ihnen sagen konnte, mehr uber mich, okay?" Der Sprachhäcksler hat wieder ganze Arbeit geleistet. Der Löschbutton entfernt das Heiratsgesuch aus meinem Sichtfeld.
Ich frage mich, ob Monica Bellucci eine Mailadresse hat und ob ich sie mal anschreiben sollte.
Frühstück fällt aus. Die letzte Dose Thunfisch habe ich gestern mit der Katze geteilt. Einsam fristen 2 Flaschen Altbier ihr Dasein im Kühlschrank. Eine Option für den Nachmittag.
Der Kaffee ist heiß und stark. Sehr stark. Ich überlege, ob er wohl zum Abbeizen von Möbeln geeignet wäre.
Bunte Bilder lachen mich an. Zucken wie defekte Leuchtreklame und machen mich nervös - nichs für Menschen mit Epilepsieneigung. Liebe Grüße und aufmunternde Tagesparolen.
Das Telefon klingelt. Chef fragt, wann ich in der Firma aufzuschlagen gedenke. Ich murmele etwas von Kopfweh und Übelkeit. Er wünscht mir ein gute Besserung.
Virtuelle Dresche für virtuelle Existenzen. Hin und wieder Gedankeninseln. Ich lächele, bin berührt und hinterlasse Zeilen.
Mein Magen knurrt unüberhörbar. Ernesto meldet sich am anderen Ende der Leitung. Ich bestelle eine große Pizza und ordentlich Wein. Wenig später klingelt es an der Tür und die Lieferung trifft ein. Ein verschwitzter Student überreicht mir die Ware. Sauberer Rechtsscheitel und Pullunder - vermutlich Maschinenbau oder Elektrotechnik. Ich lasse einige Euros Trinkgeld springen und hoffe, dass es gut angelegt ist - in die Zukunft unseres Landes.
Ich esse Pizza und die Katze beobachet mich aufmerksam bis ich mit ihr teile. Denke nicht, dass es angemessene Nahrung für den Zimmertiger ist. Morgen kaufe ich Futter - versprochen. Sie nickt, als würde sie meine Gedankengänge lesen.
Virtuelle Blumen und Handzeichen. Es ist als wäre ich auf ein fahrendes Karussell aufgesprungen und würde mich nun in einer Kreisbahn mit anderen befinden.
Irgendwann ist der Wein geleert und der Kühlschrank nun endgültig ohne Inhalt. Das Karussell dreht sich schneller und ich antworte, kommentiere und bewerte.
Stunden vergehen und irgendwann verliert das Karussell an Fahrt. Vor meinen Augen verschwimmen die Farben und Lichtpunkte tanzen Polka.
Ich klinke mich aus und falle in einen unruhigen Schlaf.
Im Traum sehe ich mich auf den Osterinseln und mit dem Admin Ballerspiele zocken - auf dem Single-Server. Selbstredend gewinne ich und trage die Maschine nach Hause.
Im Spiegel sehe ich Gollum, wie es über den Rechner streicht und "mein Schatz" murmelt.
Schweißgebadet schrecke ich aus dem Schlaf hoch und atme schwer.
Die Katze steht am Fußende und betrachtet mich mahnend aus Schlitzaugen, als hätte sie mich vor den Folgen der Virtualität gewarnt.
Es wird ein guter Tag werden, denke ich noch, als ich wieder einschlafe.
© by P.H.
dunkelgrell am 20. Dezember 10
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Bärbel und Klaus
"Frauenglück69" wartete auf dem Parkplatz vor "Onkel Harrys Pilsecke". Cooler Laden. Hatte aber schon bessere Tage gesehen.
Das dürfte allerdings gewesen sein, als er dem hiesigen Kleintierzuchtverein noch als Geräteschuppen diente. Der Geruch aus dieser Zeit haftete dem Ding noch an.
Nervöse sah er auf die Uhr und strich sich über das spärliche Haar, welches unter reichlich Geleinfluss kunstvoll zu einem verwegenen Igelkopf geformt war.
Ein Kleinwagen bog blinkend von der Straße ab und rollte auf den Parkplatz. Nur schemenhaft konnte er die Umrisse einer Frauengestalt hinter dem Steuer ausmachen.
Das musste sie sein. Allzu viele Frauen verirrten sich nicht an diesem Ort.
"LadyVenus" entstieg dem Wagen, schaute sich suchend um und wendete ihre Schritte in seine Richtung.
"Klaus?"
"Jepp - Bärbel?"
Einen Moment musterten sie sich kritisch, dann platzte es aus ihr heraus:
"Das sind nie und nimmer 1 Meter 80!"
Verlegen warf er einen Blick zu Boden und betrachtete mit gespielter Aufmerksamkeit seine Zehen, die aus den Riemensandalen hervorschauten.
"Naja, mit entsprechenden Schuhen schon..."
Sie schnaubte verächtlich.
"Was sind das für Schuhe? High Heels?"
"Na hör mal, so bin ich nicht drauf...", protestierte er.
Bärbel stemmte die Arme in die Seite, legte den Kopf auf die Seite und musterte ihn eingehend. Ihr wandernder Blick kam auf der deutlichen Wölbung über seinem Gürtel zum Stehen.
"Sportliche Erscheinung nennst Du das also?"
"Na klar", erwiderte er und deutete stolz auf die Streifen seines ausgewaschenen adidas-Shirts.
Über ihr Gesicht huschte ein amüsierter Gesichtsausdruck.
"Immerhin, um eine Antwort bist Du wohl nicht verlegen."
"Ne", entgegnete er mit einem schiefen Grinsen und deutete nun auf sie.
"Weibliche Figur? Was ist damit?"
Sie schaute an ihrer knabenhaften Erscheinung hinunter.
"Naja, ist schon weiblich..."
Dann sah sie auf, ihre Blicke begegneten sich und beide begannen zu kichern.
Zunächst verhalten dann immer lauter und schließlich brachen sie in schallendes Gelächter aus.
Immer noch lachend gingen sie aufeinander zu.
Klaus ergriff ihre Hand und zog sie in Richtung der windschiefen Baracke, die er als Begegnungsstätte gewählt hatte.
Einer Spelunke, die bestenfalls mit der Auszeichnung einer goldenen Ananas im Gourmetführer Erwähnung finden dürte.
Der Abend gestaltete sich unterhaltsam.
Die verantwortliche Position im Tiefbau entpuppte sich als Führen eines Baggers.
Die Tätigkeit im Management des Gesundheitswesen als Job einer Krankenkassen-Sachbearbeiterin.
Die Beiden hatten sich eine Menge Dinge zu erzählen und von Langeweile keine Spur.
Der Abend wurde lang und wie er im Einzelnen verlaufen ist, mag der Phantasie überlassen bleiben, aber ich erinnere mich kürzlich eine Hochzeitsannonce gelesen zu haben.
Von einer Feier war da die Rede - in "Onkel Harrys Pilsecke".
Vielleicht schaue ich mal vorbei.
© by P.H.
dunkelgrell am 20. Dezember 10
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Männer und Mode
Wenn Männer Klamotten kaufen, ist das meist zielgerichtet. Frauen sind da eher kreative Freigeister.
Kennt ihr doch sicher - ein Kerl hat zwei Buchsen im Schrank, die er abwechselnd trägt. Ist eine geschrottet, kauft er eine neue.
Frau ist anders. Da gibt es den Kleiderschrank mit aktuellen Textilien. Der Vermieter hat wegen diesem Ungetüm nachträglich Stahlträger in die Deckenkonstruktion einziehen lassen.
In diesem Ding befinden sich aber lediglich Klamotten für die laufende Saison.
Der Rest ist in Schiffscontainern untergebracht, die den Garten schmücken.
1000 Bruttoregistertonnen oder so.
"Oooch, ich geh mal schauen, was es so gibt. Könnte etwas für den Sommer gebrauchen", sagt sie.
Sommer ? Wir Kerle denken da spontan an die Beschaffung einer Zapfanlage für kommenden Grillpartys.
Ok, kleidet nicht wirklich, ist aber ne echt sinnvolle Investition.
Ein Kumpel sagte mal vor Jahren zu mir: "Wenn wir uns aus den Augen verlieren und uns irgendwann wieder über den Weg laufen sollten, wirst Du mich vielleicht nicht mehr erkennen. Erkennen wirst Du aber die Hose."
Dabei klopfte er auf die blaue Schlag-Cordhose unter der kaum die Schuhe zu erkennen waren.
Naja, dann doch lieber einen 5-Jahres-Plan für den Kleiderschrank.
Jedenfalls ziehst Du als Kerl los und schaust mal, was der Markt so hergibt.
Besonders gerne sehe ich dem Treiben einfach nur zu.
Kürzlich stehe ich da vor einen Wühltisch mit Shirts und beobachte aus den Augenwinkel eine unterhaltsame Szenerie:
Wohlbeleibter Herr mittleren Alters. Offensichtlich an einem Anzug in kecker Farbgebung interessiert.
Lila würde ich es bezeichnen. Wahrscheinlich nennt sich das in Fachkreisen fliederfarben oder so.
Ging also in die Umkleide, um nach heftigem Kampfgetöse wieder verschwitzt vor dem Spiegel aufzutauchen.
Für meine Begriffe stand die blutdruckbedingte Kopfröte in unversöhnlichem Streit mit der Anzugfarbe.
Jedenfalls eilte sogleich eine der Verkäuferinnen herbei.
Nett anzuschauen. Sehr adrett. Typ Douglasjunkie.
"Steht ihnen auuusgezeichnet", flötete sie.
"Wirklich?", stieß der Kunde mit gepresster Stimme unter dem stramm sitzenden Sakko hervor.
"Aber sicher, es lässt sie frech und jugendlich erscheinen."
Dabei entfernte die Dame geschäftig unsichtbare Verunreinigungen von dem guten Stück, die wohl nur sie zu sehen vermochte.
Denke mal, das ist so ein Psychoding - Körperkontakt herstellen.
Hat bei ihm auf jeden Fall funktioniert.
Also ich hatte zu dem Outfit nur eine Assoziation: Modell Hinterhof-Nuttenpreller.
Mir ist da eine Weisheit in Erinnerung:
"Es ist kein Kaufmann, der nicht Mäusedreck für indischen Pfeffer verkaufen kann."
Stimmt schon - irgendwie.
Wie auch immer, nach kurzer Verhandlung knickte der Herr unter dem überzeugenden Charme der Dame ein und verließ siegessicher den Laden.
Bewaffnet mit Textilien, die seinen Typ unterstreichen und sämtliche Türen in Beruf und Damenkontaktierung weit aufstoßen sollten.
Hätte mir vielleicht seine Nummer geben lassen sollen, um den Erfolg zu beobachten.
Weil, wenn, dann hole ich mir auch so ein Teil - oder gleich mehrere.
Echt jetzt.
© by P.H.
dunkelgrell am 20. Dezember 10
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